Positionspapier zu den geplanten Änderungen des Landkreises Darmstadt-Dieburg bei der Berufsschulzuweisung von Auszubildenden
Eine kritische Einordnung aus Sicht der Wirtschaftsförderung
Pfungstadt sowie ansässigen Ausbildungsbetrieben
Ausgangslage
Der Landkreis Darmstadt-Dieburg verfolgt mit dem aktuell im Beschlussverfahren befindlichen „Berufsschulentwicklungsplan 2025 – 2030“ die Idee Ausbildungsberufe dem Berufsschulzentrum Nord zu entziehen und an die Landrat-Gruber-Schule nach Dieburg zu verlagern. Diese Maßnahme wird alleinig mit dem Anspruch begründet, die einzige Berufsschule im Landkreis zu stärken ungeachtet der negativen Auswirkungen
für die Wissenschaftsstadt Darmstadt und der dort ansässigen Berufsschulen sowie den Auszubildenden und ausbildenden Betrieben. Nach Informationen aus der öffentlichen Berichterstattung sollen Auszubildende betroffener Ausbildungsgänge aus dem südlichen und westlichen Landkreis ab August 2026 der Berufsschule in Dieburg zugewiesen werden.
Position der Wirtschaftsförderung Pfungstadt
Als kommunale Wirtschaftsförderung der Stadt Pfungstadt sprechen wir uns entschieden gegen die geplanten Maßnahmen zur Neuordnung der
Berufsschulzuweisungen im Rahmen des „Berufsschulentwicklungsplans 2025 – 2030“ des Landkreises Darmstadt-Dieburg aus. Die vorgesehenen Änderungen gefährden bewährte und gewachsene Ausbildungsstrukturen, die sich in den vergangenen Jahren als tragfähig, wirtschaftsnah und verlässlich erwiesen haben. Sie ignorieren dabei die engen regionalen Verflechtungen zwischen den kreisangehörigen Kommunen und der
Wissenschaftsstadt Darmstadt, die als zentraler Ausbildungs-, Hochschul- und Beschäftigungsstandort ein bedeutender Faktor für die Standortattraktivität der gesamten Region ist. Insbesondere für Kommunen im westlichen und südlichen Landkreis – wie Pfungstadt – bedeuten die geplanten Umstellungen eine erhebliche Schwächung ihrer Attraktivität als Wirtschaftsstandort. Unternehmen, die sich aktiv in der Ausbildung engagieren, könnten durch längere Fahrtwege und eine sinkende Planbarkeit des Berufsschulbesuchs ihrer Auszubildenden darin gehemmt werden, weiterhin Ausbildungsplätze anzubieten und bereitzustellen. Für Auszubildende wiederum drohen längere Schulwege, ein erhöhter zeitlicher und finanzieller Aufwand sowie eine geringere Identifikation mit ihrem Ausbildungsumfeld. Dies verschlechtert die Ausbildungsbedingungen und wirkt sich unserer Ansicht nach langfristig negativ auf den Fachkräftemangel in der Region aus. Die berufliche Bildung ist ein zentraler Baustein der wirtschaftlichen Entwicklung in unserer Region, der nicht durch kurzfristig gedachte Strukturmaßnahmen aufs Spiel gesetzt werden darf.
Unsere Kernkritikpunkte
Aus Sicht der Wirtschaftsförderung Pfungstadt und den ausbildenden Betrieben in Pfungstadt birgt das angestrebte Vorhaben erhebliche Risiken für die Ausbildungsbetriebe im südlichen und westlichen Landkreis, deren Auszubildende derzeit das Berufsschulzentrum Nord besuchen. Insbesondere befürchten wir eine strukturelle Benachteiligung der Auszubildenden, eine Schwächung des Wirtschaftsstandorts Pfungstadt und langfristige Einbußen in der Anzahl an Auszubildenden und im Bereich der Nachwuchskräftesicherung. Im Einzelnen führen wir folgende Aspekte an:
- Zerschlagung gewachsener Strukturen
Die enge geografische und inhaltliche Verbindung zwischen Berufsschulen und Betrieben in Pfungstadt hat sich über Jahre hinweg bewährt. Die Abschaffung der bisherigen „Altkreisregelung“ unterbricht und beendet eingespielte Verbindungen zwischen Ausbildungsbetrieben im Landkreis und Berufsschulen in Darmstadt – entsprechend der Friedrich-List-Schule, der Peter-Behrens- Schule und der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule. Betriebe und Auszubildende verlieren an Planungssicherheit und die Koordination sowie praktische Umsetzung der beruflichen Ausbildung wird erheblich erschwert. - Wettbewerbsnachteil für Ausbildungsbetriebe in Pfungstadt
Gerade für Ausbildungsbetriebe im Westen und Süden des Landkreises sowie deren Auszubildenden entstehen erhebliche Mehrbelastungen durch längere Schulwege. Die logistischen und wirtschaftlichen Nachteile sind konkret messbar und wurden bereits von der Industrie- und Handelskammer Darmstadt/Rhein-Main-Neckar (IHK) und Handwerkskammer Frankfurt/Rhein-Main (HWK) in der gemeinsamen Stellungnahme aufgezeigt. Des Weiteren führen wir an, dass Ausbildungsplätze in Pfungstadt an Attraktivität verlieren, wenn Bewerber und Bewerberinnen wissen, dass sie regelmäßig nach Dieburg pendeln müssen. In Zeiten eines angespannten Ausbildungsmarktes mit vielen
offenen Stellen entscheiden oft kleine Faktoren, wie beispielsweise der Standort der Berufsschule, über die Wahl des Ausbildungsbetriebs.Konkretes Praxisbeispiel: Ein im Stadtteil Pfungstadt-Hahn ansässiges Unternehmen hat die Fahrzeit vom Unternehmenssitz nach Dieburg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln per RMV-App bestimmt. Die bisherige Fahrzeit nach Darmstadt erhöht sich pro Fahrtstrecke um ca. 30 – 40 Minuten. Dies bedeutet, dass Berufsschüler, für einen Schulbeginn um 8 Uhr bereits vor 6 Uhr morgens in den ÖPNV einsteigen müssten, um pünktlich zu sein.
Die Folge aus diesen angeführten Punkten ist ein spürbarer Attraktivitätsverlust des Ausbildungs- und Wirtschaftsstandortes Pfungstadt – mit unmittelbaren Konsequenzen für die Ausbildungsbereitschaft und den Fachkräftenachwuchs in den Betrieben. - Mobilitäts- und Sozialrealität von Auszubildenden wird ignoriert
Viele Auszubildende stehen heute vor der finanziellen Herausforderung, sich überhaupt einen Führerschein sowie die Anschaffung und den laufenden Betrieb eines eigenen Fahrzeugs leisten zu können. Damit sind sie in hohem Maße auf einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) angewiesen. Gerade hier liegt jedoch ein entscheidendes und nicht ausreichend berücksichtigtes Problem: Der ÖPNV in den südlichen und westlichen Teilen des Landkreises bietet keine hinreichenden, schnellen und zuverlässigen Verbindungen in den
östlichen Teil und somit auch nach Dieburg und zur Landrat-Gruber-Schule, die einen pünktlichen Schulbeginn sicherstellen könnten. Diese
Rahmenbedingungen machen eine verpflichtende Zuweisung zur Landrat-Gruber-Schule aus Perspektive der sozialen Teilhabe junger Menschen schlicht unzumutbar. Gerade im ersten Ausbildungsjahr sind junge Menschen häufig auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Lange Schulwege können die Motivation beeinträchtigen und führen nicht selten dazu, dass Ausbildungen abgebrochen oder Ausbildungsstellen nicht besetzt werden.
Regionale Realität: Verflechtung statt Trennung
Die starke funktionale Verbindung zwischen Landkreis und Stadt zeigt sich in täglichen Pendlerzahlen, dem Wissenstransfer von den Hochschulen der Wissenschaftsstadt in die Unternehmen des Landkreises sowie in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Unternehmen. Berufsschulstandorte können in einem solch verzahnten Raum nicht isoliert geplant werden – insbesondere nicht mit Blick auf den Fachkräftemangel. In diesem Kontext eine künstliche Trennung im Bildungssystem nach Verwaltungsgrenzen zu vollziehen, wirkt anachronistisch und ignoriert sowohl soziale als auch ökonomische Realitäten. Die Berufsschulstandorte sind Teil dieser funktionalen Arbeitsteilung und
sollten dementsprechend integriert und kooperativ weiterentwickelt werden. Diese Erkenntnis, das Stadt und Landkreis gemeinsam gedacht werden müssen, bestätigen auch die Prognosen der Hessischen Fach- und Arbeitskräfteinitiative des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales, welche im Rahmen der vom Landkreis Darmstadt-Dieburg ausgerichteten „Zukunftswerkstatt Fach- und Arbeitskräftesicherung Darmstadt-Dieburg“ am 24.04.2025 vorgestellt wurde. Demnach fehlen im Landkreis bis 2030 über 7.700 Fachkräfte, u. a. in Pflege, Technik, Erziehung und Logistik. Als Vorschlag zur Begegnung dieses Mangels wurde als Ergebnis der Ausarbeitungen der Arbeitsgruppen, welche im Rahmen der Veranstaltung Lösungsansätze diskutierten und erarbeiteten, insbesondere die Kooperation zwischen der Wissenschaftsstadt und dem Landkreis angeführt.
Unsere Forderung
Angesichts der vorliegenden Planungen zur strukturellen und organisatorischen Zusammenführung der Berufsschulen Darmstadt und Dieburg fordern wir als Wirtschaftsförderung der Stadt Pfungstadt:
- Ein Erhalt des Berufsschulstandorts an der Landrat-Gruber-Schule in Dieburg kann nicht auf Kosten der Auszubildenden und Betrieben im südlichen und westlichen Landkreis geschehen, nur weil Unternehmen aus dem östlichen Landkreis nicht die auskömmliche Ausbildendenzahlen hervorbringen.
- Rücknahme der verpflichtenden Schulzuweisung aller Auszubildenden der betroffenen Ausbildungsberufe aus dem Landkreis zur Landrat-Gruber-Schule in Dieburg ab August 2026.
- Wiederherstellung eines transparenten Beteiligungsprozesses unter Einbeziehung der Kammern als Vertretung der Ausbildungsbetriebe sowie der Wirtschaftsförderungen der im südlichen und westlichen Teil des Landkreises gelegenen Kommunen sowie eine klare Kommunikation über die betroffenen Ausbildungsberufe.
- Aufbau einer langfristigen Kooperationsstruktur zwischen Landkreis und Stadt und eine kooperationsbasierte Planung zwischen Landkreis und Stadt – insbesondere bei berufsbezogener Schulentwicklungsplanungen, um Fluktuation, Investitionsverluste und Ausbildungsabbrüche zu vermeiden.
Eine zukunftsfähige Bildungslandschaft braucht Akzeptanz, Partizipation und Dialog – nicht Top-Down-Entscheidungen, die an den Bedürfnissen sowie der Realität der Betriebe und Auszubildenden vorbeigehen.
Schlussfolgerung
Die geplante Reform widerspricht dem Ziel, Fachkräfte in der Region zu sichern. Die geplante Verlagerung Ausbildungsfachrichtungen von Darmstadt nach Dieburg berührt weit mehr als nur organisatorische Fragen. Sie stellt einen tiefgreifenden Eingriff in die gewachsenen Ausbildungsstrukturen der Region dar – mit potenziell negativen Folgen für Auszubildende, Betriebe und das gesamte Wirtschaftsgefüge.
Zudem konterkariert diese auch die Bemühungen der kommunalen Wirtschaftsförderungen dem Arbeits- und Fachkräftemangel mit entsprechenden Maßnahmen und Angeboten zu begegnen, dadurch die Standortattraktivität zu steigern als auch die Wirtschaftskraft der gesamten Region zu erhalten und auszubauen. Sie ist weder sozial gerecht noch wirtschaftlich effizient. Statt einseitiger Umsteuerung brauchen wir vernetzte Lösungen, praxisnahe Planungsgrundlagen und echte Dialogbereitschaft. Die Zukunft der dualen Ausbildung im Landkreis und der Wissenschaftsstadt Darmstadt darf nicht an einer pauschalen Neuregelung gefährdet, sondern muss durch eine vernetzte und zukunftsfähige Berufsschullandschaft gestärkt werden.